Charlotte Gainsbourg: « Sie sagten: Beschwer dich doch bei deinem doofen Vater! » (Zeit)

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Die Sängerin Charlotte Gainsbourg, Tochter von Serge, über ihr Leben als Kind eines Exzentrikers und den Verlust ihrer Schwester Kate. Ein Interview von Christoph Dallach

ZEITMAGAZIN NR. 45/2017 7. NOVEMBER 2017, 21:52 UHR

© Oliver Helbig

46, ist in London geboren. Die französische Schauspielerin und Sängerin ist einem internationalen Publikum bekannt. Aktuell spielt sie im Kino-Thriller Der Schneemann eine Frau, die ins Visier eines Killers gerät.

Verschlafen betritt Charlotte Gainsbourg eine üppig ausgestattete Hotelsuite in Berlin-Mitte und schaut sich staunend um: eine große Küche, eine gut bestückte Bar und ein Plattenspieler mit Plattensammlung. Die französische Schauspielerin und Sängerin legt ihre Umhängetasche auf ein Sofa, stellt den mitgebrachten Saft auf den Tisch, bleibt noch etwas stehen und inspiziert weiter den Raum. Als Tochter von Serge Gainsbourg und Jane Birkin ist sie Glamour und Wohlstand zwar von Geburt an gewohnt, doch nun schaut sie sich um, als ob sie sich das erste Mal in ein schickes Hotel verirrt hätte. Mit leiser Stimme merkt sie an, dass Hotels in diesem Jahrtausend irgendwie immer luxuriöser würden, dann setzt sie sich lächelnd.

ZEITmagazin: Haben Sie schon mal etwas in einem Hotelzimmer geklaut?

Charlotte Gainsbourg: Ja, ab und zu eine Kleinigkeit einzupacken, hat mir mein Vater beigebracht. In allen guten Häusern hat er immer die Badezimmer leer geräumt. Im Ritz in Paris hatten sie die allerschönsten Dinge. Ich habe ab und zu mal einen Aschenbecher mitgehen lassen, mehr nicht.

ZEITmagazin: Sie sind vor vier Jahren mit Ihrer Familie von Paris nach New York umgezogen. Wie kam es dazu?

Gainsbourg: Ich hatte schon länger den Plan gehabt, Paris mal für eine Weile zu verlassen. Dann, vor fast vier Jahren, starb meine Schwester Kate nach einem Sturz aus einem Fenster. Das stürzte mich in eine tiefe Depression. Mir wurde klar, dass ich umgehend rausmusste aus Paris, um das zu überleben. Ich musste alles hinter mir lassen, ich musste meine Mutter in Paris zurücklassen, meine kleine Schwester und alle anderen Freunde und Verwandten. Dann machte ich mich davon mit meinen Kindern und meinem Lebensgefährten Yvan.

ZEITmagazin: Und Ihre Kinder haben sich nicht beschwert, dass sie ihr gewohntes Leben so abrupt zurücklassen mussten?

Gainsbourg: Nein, die waren sehr großzügig mit mir, auch weil sie verstanden, wie wichtig für mich dieser Umzug war. Gut, eine meiner Töchter freute sich auf New York und die andere nicht, aber so ist das nun mal. Wie lange wir in New York bleiben werden, ist noch offen. Wir haben bereits darüber gesprochen, wann wir nach Paris zurückziehen, aber ich bin noch lange nicht wieder bereit für Paris. Ich bin aus Frankreich geflohen, weil ich Kates Tod dort geradezu körperlich spürte. Sobald ich das Haus verließ, brach alles noch mal über mich herein. Was auch daran lag, dass ich in dem gleichen Viertel wohnte, in dem ich mit ihr aufgewachsen war. Jede Straße dort, jeder Baum erinnerte mich an eine Episode unserer Jugend.

ZEITmagazin: Und in New York ging es Ihnen besser?

Gainsbourg: Nein, so schnell vergeht solch ein Schmerz nicht. Ich habe auch in New York noch sehr getrauert. Ich trauere ja immer noch. Es half mir aber, mich auf meinem neuen Album mit dem Tod meiner Schwester auseinanderzusetzen. Meine Texte handeln vom Tod, vom Verlust, aber auch von unserer gemeinsamen Kindheit. Es war eine Chance, mein bisheriges Leben Revue passieren zu lassen und mich auch an all die tollen Dinge zu erinnern, die meine Schwester und ich gemeinsam erlebt haben. Nichts in New York lenkte mich von meiner Trauerarbeit ab. Die Trauer blieb, aber es kam eine positive Energie dazu, die mir Paris nicht mehr bieten konnte. In Amerika wiederum stellt meine Trauer für viele ein Problem dar.

ZEITmagazin: Inwiefern?

Gainsbourg: Wenn man Amerikanern sagt, dass gerade die Schwester gestorben ist und man vor dem Schmerz fliehen musste, bekommen sie einen gewaltigen Schreck. Das habe ich so wirklich nur in den USA erlebt, dass Menschen sich in deiner Gegenwart schlagartig unwohl fühlen, wenn du ihnen ganz aufrichtig mitteilst, dass es dir dreckig geht. Sobald man sie mit einem persönlichen Problem behelligt, ziehen sich Amerikaner reflexartig zurück. Sie haben Angst vor zu viel Intimität, also vor Dingen, die ihnen die gute Laune verfinstern könnten. Trotzdem, ich muss über meinen Schmerz sprechen können, ich kann ihn nicht für mich behalten. Das betrifft sogar meine Kinder, denen ich das alles eigentlich nicht so zumuten dürfte. Aber es nützt nichts, ich muss auch zu Hause den ganzen Tag über meine tote Schwester reden. Ich kann nicht anders.

ZEITmagazin: Ihr Vater, Serge Gainsbourg, war erst 62, als er 1991 starb. Wie sind Sie damals mit seinem Tod umgegangen?

Gainsbourg: Diese beiden Verluste kann man nicht vergleichen – außer dass es die beiden furchtbarsten und schmerzhaftesten Erfahrungen waren, die ich in meinem Leben erlitten habe. Das Problem mit meinem Vater war, dass in Frankreich alle das Gefühl haben, dass er ihnen « gehört ». Es fiel mir damals schwer, damit umzugehen. Ich wollte nicht Teil dieser öffentlichen Trauer werden, sondern mit meinem Schmerz allein sein. Das führte dazu, dass ich den ganzen Schmerz schweigend aufgesogen habe. Das war ungesund, und nun mache ich das anders. Ich spreche, sooft ich kann, über meine Schwester, inzwischen aber auch über meinen Vater.

ZEITmagazin: Was ist Ihre früheste Erinnerung an Ihre Schwester?

Gainsbourg: Wir lebten in einem Paris, das mir im Rückblick wie eine andere Welt vorkommt. Als wir Kinder waren, schien Paris leer zu sein. Kate und ich spielten immer auf der Straße, ohne dass uns jemals ein Auto gestört hätte. Das war auf der Rue de Verneuil, wo bis heute das Haus meines Vaters steht. In meiner Kindheit schien alles so leicht zu sein.

ZEITmagazin: Wie passt das zum legendär ausschweifenden Lebenswandel Ihrer Eltern damals?

Gainsbourg: Wir bekamen davon kaum etwas mit. Es stimmt schon, die Siebziger waren wild, und meine Eltern waren Partyweltmeister. Wir hatten trotzdem eine tolle Kindheit. Ich war wirklich ein ganz normales Kind, meine Schwester auch. Wir gingen zur Schule, am Nachmittag spielten wir.

ZEITmagazin: Kümmerten sich Ihre Eltern um die Organisation des Alltags?

Gainsbourg: Sie organisierten ihn tatsächlich, delegierten aber fast alle Aufgaben an ihre zahlreichen Angestellten. Ich erinnere mich an sehr viele Babysitter und Au-pair-Mädchen, die eigentlich alle böse waren.

ZEITmagazin: Böse?

Gainsbourg: Ja, böse im Sinne von hinterhältig und missgünstig. Ich erinnere mich an kein einziges nettes Au-pair-Mädchen. Wobei sie zu mir eher mal nett waren, weil ich noch so klein und niedlich war. Aber zu Kate waren sie oft ganz furchtbar, richtig bösartig.

Charlotte Gainsbourg als Kind neben ihrem Vater Serge Gainsbourg und ihrer Mutter Jane Birkin 1977 in Saint-Tropez. Vorne links sitzt ihre Schwester Kate. © Daniel Angeli/Bestimage

ZEITmagazin: Und das sagten Sie nie Ihren Eltern?

Gainsbourg: Ich war zu klein dafür, obwohl ich alles mitbekam. Und irgendwie wurden solche unangenehmen Dinge generell nicht besprochen. Kommunikation war zeitweilig schwierig bei uns zu Hause, einfach auch weil unsere Eltern so oft weg waren. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Sie waren immer liebevoll – aber eben auch viel weg. Wenn ich mich jetzt daran erinnere, ist es mir schon ein Rätsel, warum Kate oder ich uns nicht deutlicher beschwert haben. Eine besonders heimtückische Nanny, eine alte Dame, trat mal nach unserem Hund, als sie sich unbeobachtet fühlte. Das bekam mein Vater aber ausnahmsweise mit, und er setzte sie umgehend vor die Tür. Kate und ich schauten uns da nur an und dachten wohl beide: Vor allem war sie zu uns furchtbar gewesen! Aber wir konnten das nicht formulieren. Doch diese Verbundenheit, die wir zwei in unserer Kindheit hatten, ist heute wie ein Schatz für mich. Wir hielten ein Leben lang zusammen.

ZEITmagazin: Ganz so harmonisch klingt das alles ehrlich gesagt nicht.

Gainsbourg: Das sagte meine Schwester früher auch immer zu mir, wenn ich wieder mal erzählte, was für eine magische Zeit wir beide doch zusammen gehabt hatten. Sie erwiderte dann oft, dass unsere Kindheit überhaupt nicht so nett gewesen sei, wie ich mir das rückblickend ausmalte. Unsere Erinnerungen waren da wohl tatsächlich unterschiedlich. Ich habe auch viel idealisiert und mir gewünscht, dass es so gewesen ist, wie ich es mir einredete. Nun sind zwei der Hauptdarsteller nicht mehr da, mein Vater und meine Schwester.

ZEITmagazin: Haben Sie Ihren Vater auch idealisiert? Zu einer Figur, die es so nicht gab?

Gainsbourg: Vermutlich ist das so. Ich war neunzehn, als er starb, und für mich brach eine Welt zusammen. Natürlich zeichnete ich mir ein Idealbild von ihm, um ihn vergöttern zu können. Ich habe lange nie ein böses Wort über ihn verloren. Alles, was ich mit ihm erlebt hatte, schien ein einziger wunderbarer Traum gewesen zu sein. Was natürlich Unsinn ist.

ZEITmagazin: Ihre liebste Kindheitserinnerung?

Gainsbourg: Die gibt es nicht, eben weil Fantasie und Realität bei mir seltsam verschwimmen. Das liegt daran, dass meine Mutter seit Langem die Angewohnheit hat, in Interviews über unsere Kindheit zu sprechen. Dabei erzählt sie immer wieder Geschichten, an die ich mich überhaupt nicht erinnern kann, sodass ich nie weiß, ob ich das wirklich erlebt habe oder vielleicht eher nicht. Ich halte mich da lieber an Fotoalben und ähnliche verlässliche Dinge.

« Natürlich bin ich schüchtern. Aber Schüchternheit kann helfen, unerwünschte Menschen von der eigenen Welt fernzuhalten. » © Oliver Helbig

ZEITmagazin: Ihr Vater war ein Meister der Provokation. Wie schwierig war das für Sie als Kinder?

Gainsbourg: Klar, das machte mein Leben nicht gerade einfacher. Als ich elf war, verbrannte er in einer Fernsehsendung einen Geldschein. Die Reaktionen in ganz Frankreich darauf waren heftig. Am Tag danach ließen mich das meine Mitschüler in der Schule spüren, indem sie ein Bild, das ich gemalt hatte, vor meinen Augen verbrannten. Die Botschaft war: Beschwer dich doch bei deinem doofen Vater.

ZEITmagazin: Waren Ihre Eltern das Feindbild der Eltern Ihrer Mitschüler?

Gainsbourg: Das kann man wohl so sagen. Der Lebenswandel meiner Eltern schockierte die anderen Eltern, sie sorgten ja für einen Skandal nach dem anderen. Wenn mein Vater mal Ruhe gab, ließ sich meine Mutter für irgendein Magazin nackt fotografieren. Was die anderen Eltern darüber dachten, bekam ich in der Schule ständig von deren Kindern zu hören. Meine Mutter wurde eine « Nutte » genannt und mein Vater ein « Junkie ». Und dennoch wusste ich, dass meine Eltern nicht so sind. Es half mir auch, dass ich sehr früh begonnen habe, selber zu arbeiten, und somit unabhängiger von ihnen wurde. Das bot mir tatsächlich Schutz vor diesen Anfeindungen. Ich bin immer noch ganz gut darin, mich selber zu beschützen. Ich bin gar nicht so leicht zu verletzen, wie es scheint, viel Böses rauscht einfach durch mich durch, ohne dass es eine Spur hinterlässt.

ZEITmagazin: Gleichzeitig wirken Sie in der Öffentlichkeit eher schüchtern.

Gainsbourg: Natürlich bin ich schüchtern. Aber Schüchternheit kann auch ein Schutzschild sein. Schüchternheit kann helfen, unerwünschte Menschen von der eigenen Welt fernzuhalten. Unterschätzen Sie mich nicht, dieser Charakter, mit dem ich mich der Welt da draußen präsentiere, dieses Verhuschte und Unsichere, ist immer auch ein gut funktionierender Schutz gewesen.

ZEITmagazin: Ihre Gefühle nach dem Tod Ihrer Schwester haben Sie in dem Song « Kate » verarbeitet. Haben Sie den Text vorher Ihrer Mutter gezeigt?

Gainsbourg: Um Gottes willen, nein! Es war für mich eine sehr emotionale Erfahrung, mit diesen von mir zu Papier gebrachten Gedanken zu arbeiten. Der Song Kate fühlt sich für mich an, als wenn ich zu ihr sprechen würde, wo immer sie nun auch sein mag. Ich möchte dabei aber nicht mystisch oder esoterisch erscheinen. Während ich das Lied aufgelöst im Studio sang, saß der Produzent im Nebenraum und machte mir Mut. Das hatte er bei den ersten Songs, die wir noch in Paris ausprobiert hatten, nicht getan. Da hatte er mir das Gefühl vermittelt, dass meine Sachen nicht so toll waren. Er sagte oft: « Tja, warum nicht. » Danke sehr, dachte ich mir dann, ich bin eben doch nicht gut genug für diesen Job. Ich war kurz davor, einen Songschreiber zu engagieren, der Ordnung in meine chaotischen Notizen bringen sollte, damit wir endlich mal vorankommen. Aber in New York wurde mir klar, dass nur ich einen Song wie Kate schreiben konnte. Aber jetzt, wo die Veröffentlichung der Platte kurz bevorsteht, überkommen mich doch manchmal Zweifel.

ZEITmagazin: An den Texten?

Gainsbourg: Eher an meiner Haltung. Ich führe mich hier auf, als ob ich der einzige Mensch auf der Welt wäre, den der Tod meiner Schwester mitgenommen hat. Aber da sind natürlich noch einige, die mindestens so betroffen sind wie ich: unsere Mutter, zum Beispiel, und Kate hatte ja auch einen Sohn und eine weitere Schwester. Allerdings kann ich über deren Gefühle ja nicht sprechen. Meiner kleinen Schwester Lou habe ich den Song vorab geschickt.

ZEITmagazin: Um ihren Segen dafür zu bekommen?

Gainsbourg: Nein, nur um sie davon in Kenntnis zu setzen, dass dieser Song erscheinen wird. Mich interessierte natürlich auch, ob sie ihn mag. Sie mag ihn, hat sie mir gesagt. Ich hoffe mal, dass sie das aufrichtig meint!

ZEITmagazin: Hat Ihr Vater Ihnen mal Tipps gegeben, wie man einen Song schreibt?

Gainsbourg: Nein, leider nicht. Mir ging trotzdem irgendwann auf, dass ich gerne schreibe, und dass daraus mit etwas Hilfe Musik werden könnte. Ich habe immer eine konkrete Vorstellung davon, wie meine Lieder klingen sollen. Und ich wusste, dass ich für diese Songs den unterkühlten Klang der Elektronik bevorzuge, weil das den perfekten Widerspruch zu meiner kleinen Stimme und den intimen Texten bietet. Ich erscheine immer als so sanfte Person, und deshalb wollte ich als Kontrast dazu den Klang lauter Beats, so wie in den Soundtracks von Horrorfilmen.

ZEITmagazin: Sie mögen Horrorfilme?

Gainsbourg: Ich liebe Horrorfilme! Zum Beispiel Shining , Psycho , Carrie oder Der weiße Hai. Düsterer Stoff! Den Weißen Hai sah ich bereits mit vier.

ZEITmagazin: War das nicht zu harter Stoff für ein Kind?

Gainsbourg: Das war es eindeutig. Ehrlich gesagt war das ein ganz großer Fehler meiner Mutter.

ZEITmagazin: Hatten Sie Albträume danach?

Gainsbourg: Und wie! Ich traute mich viele Jahre nicht mehr ins Wasser. Diese Geräusche, dieses Gurgeln, wenn der Hai sich seine Opfer schnappt – die verfolgen mich eigentlich bis heute in meinen Träumen. Der Film war ja als Schocker inszeniert und erschreckte eine ganze Generation von Erwachsenen. Die Wirkung auf ein Kind war entsprechend heftiger.

ZEITmagazin: Sind Sie mit Ihren Kindern vorsichtiger?

Gainsbourg: Ich habe es zumindest versucht und sie vor den Gefahren des Internets und so weiter gewarnt. Bei meinem ältesten Sohn hat das noch nicht so gut geklappt. Mit meinem Lebensgefährten schaute ich mal den Thriller Heat, und mein Sohn saß dabei, er war damals etwa zwei Jahre alt. Tja, das war auch zu früh, und er war so geschockt wie ich damals beim Weißen Hai. So wiederholte ich also den Fehler meiner Mutter. Meine Töchter habe ich dann später mit den Harry Potter -Filmen erschreckt.

ZEITmagazin: Ihr Vater sagte einmal, dass untrainierte Stimmen die aufregendsten Stimmen wären. Hatten Sie jemals Gesangsunterricht?

Gainsbourg: Ja, aber nur kurz. Wenn Sie mir mit so einem Zitat meines Vaters kommen, merke ich wieder, wie sehr er und seine Ratschläge mir immer noch fehlen. Ich bin ja eher eine Schauspielerin als eine Sängerin. In der Musikwelt bewege ich mich mit meiner Stimme nur mit größter Vorsicht. Vor einigen Jahren habe ich in Los Angeles ein Album mit Beck aufgenommen. Kurz vor den Aufnahmen packte mich plötzlich die ganz große Panik. Meine Nerven lagen so blank, dass ich Vanessa Paradis anrief, die zufällig auch in der Stadt war. Sie empfahl mir eine alte französische Gesangslehrerin, der es gelang, mich zu beruhigen. Konzerte sind für mich allerdings nach wie vor die Hölle.

ZEITmagazin: Ihr Sohn Ben ist inzwischen auch schon zwanzig. Wie hat der gegen Sie rebelliert?

Gainsbourg: Mein Sohn war ein sehr, sehr wilder Teenager. Stellen Sie sich irgendetwas Wildes vor: Er hat es getan. Das ist jetzt zum Glück schon ein paar Jahre her. Aber mein Sohn war ein richtiger Rebell.

ZEITmagazin: Ändert es den Blick auf die Eltern, wenn die eigenen Kinder aufbegehren?

Gainsbourg: Nein, denn ich habe nie gegen meine Eltern rebelliert. Das habe ich verpasst und bereue es heute sehr. Ich wünschte mir, ich wäre ein Rebell gewesen und hätte ihnen richtig zugesetzt. Habe ich aber nicht. Ich war immer zu lieb. Wenn man nie rebelliert hat, bleibt ein Vakuum, das einem später im Leben zu schaffen macht.

ZEITmagazin: Und warum haben Sie nicht rebelliert?

Gainsbourg: Ich hatte wirklich andere Sorgen. Es strengte mich schon an, damit klarzukommen, dass ich von klein auf irgendwie bekannt war in Frankreich. Das ist auch eine Bürde gewesen. Schon in sehr jungen Jahren habe ich Filme gedreht und Musik gemacht. Da blieben weder Zeit noch Raum für Rebellion. Ich war mehr als genug mit mir selbst beschäftigt. Meine beiden Schwestern waren darin sehr viel besser als ich. Aber Kinder sollten zu ihren Eltern wenigstens ein Mal im Leben « fuck off » gesagt haben. Also hier jetzt endlich ein verspätetes (laut:) « fuck off » an meine Eltern!

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