Charlotte Gainsbourg @ Deutsches Schauspielhaus, Hamburg – June 27, 2010

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  • Charlotte Gainsbourg in Hamburg: Rausgehen, um reinzulassen – Von Pia-Luisa Lenz, malzkornfoto.de, 28.06.2010

Spätes Coming-out: Charlotte Gainsbourg ist mit 38 Jahren zum ersten Mal als Sängerin auf Tournee. Bei ihrem Deutschland-Debüt überrascht die fragile Schauspielerin nicht nur mit einem selbstbewusst-kraftvollen Auftritt, sondern auch mit einer Liebeserklärung an Vater Serge.

Grelle Lichteffekte blenden das Publikum. Charlotte Gainsbourg steht inmitten ihrer fünfköpfigen Band auf der Bühne und ist nur in Umrissen erkennbar. Sie hält ihren Kopf gesenkt, so dass ihre langen braunen Haare das Gesicht verdecken. Auf sechs kleinen Bildschirmen flimmern bunte medizinische Querschnitte eines menschlichen Gehirns. Ein dunkler, synthetisierter Ton setzt ein. Aggressiv, voller Rhythmus und Leidenschaft schlägt Gainsbourg auf die Trommel neben ihr ein.


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Wenn sie singt: « Leave my head demagnetized, tell me where the trauma lies », klingt ihre Stimme sanft und stark zugleich. In Interviews hat Charlotte Gainsbourg immer wieder ihre Schüchternheit und Unsicherheit beschrieben. Auf der Bühne des Hamburger Schauspielhauses an diesem Sonntagabend, bei diesem ersten Deutschlandkonzert ihrer ersten Europatournee, geht sie nun aus sich heraus. Mit ihren Texten lässt sie das Publikum an ihren Gedanken teilhaben. Vielleicht sind es ja sogar ihre eigenen Tomografiebilder, die dort im Hintergrund aufflackern.

Das erste Lied ist « IRM », der Titelsong des Ende letzten Jahres erschienenen Albums. « IRM » ist das französische Kürzel für Kernspin-Tomografie, der sich Gainsbourg nach einer Hirnblutung häufig unterziehen musste. Das Stück klingt entsprechend düster und löst mit all seinem mechanischen Stottern und Knarzen Beklemmungen aus. Genau dieses Gefühl muss sie gehabt haben, wann immer sie in der engen Röhre lag. Trotzdem hat sie sich in dieser sterilen Krankheits- und Krankenhausumgebung für ihr zweites Album inspirieren lassen. Die Krankheit scheint sie mutig gemacht zu haben: Sie reißt in die unterschiedlichsten Richtungen aus, mischt Elektro mit Chanson, Pop und Folk.

Verträumt flüsternder Gesang

Nach überstandener Behandlung nahm sie sich zwei Dinge vor: über ihre gesundheitliche Krise zu singen und mit dem amerikanischen Musiker Beck zusammenzuarbeiten. Im Frühjahr letzten Jahres reiste sie in sein Studio nach Los Angeles, wo die beiden mit der Arbeit an gemeinsamen Songs begannen. Eine der ersten Früchte dieser Arbeit war « Master’s Hands ». Zwar geschrieben von Beck, enthält es dennoch genaue und eindringliche Beschreibungen ihrer Gefühle: « Drill my brain/ All full of holes/ And patch it before it leaks. »

Anstatt sich in ihrer Scheu mit den Gedanken zurückzuziehen, öffnet Gainsbourg mit diesen Texten einen Zugang zu ihrem Kopf. Auf der Bühne kostet sie das manchmal noch Überwindung. Doch sie fühlt sich sichtlich wohl mit den Songs, die auf dem Album unverkennbar Becks Handschrift tragen. Erst hier, auf der Bühne, macht sie sie sich zu eigen. Und dann gibt es die Momente, in denen sie ihre nicht sehr kräftige Stimme erhebt und aus sich herauskommt, um gleichzeitig das Publikum zu sich hereinzulassen. Das spüren die Menschen auf den Sitzen im viel zu gediegenen Ambiente des Hamburger Theaters. Sie wollen sich mitreißen lassen und würden am liebsten aufspringen.

Dennoch ist es spürbar, dass Charlotte Gainsbourg, mit Ausnahme einiger kleinerer Auftritte, fast 25 Jahre lang nicht vor Publikum gesungen hat. Sie bewegt sich sparsam. Immer wieder streicht sie sich fast verlegen den langen Pony aus dem Gesicht. Ihre Arme hängen die meiste Zeit ganz ruhig neben ihrem schmalen Körper. Nur sehr selten sucht sie den Blickkontakt zu ihrem Publikum. Erreicht ein Song seinen rhythmischen Höhepunkt, beginnt Gainsbourg leicht mit dem Kopf zu wippen und schließt die Augen. Ihr verträumt flüsternder Gesang scheint dabei zu sagen: « Ich gebe euch etwas Geheimnisvolles, sehr Persönliches preis. »

Das war nicht immer so, denn als Kind des Chanson-Titanen Serge Gainsbourg und der Pop-Ikone Jane Birkin muss man sich entscheiden: Entweder sucht man sich eine Branche weit weg von der Musik und macht sein eigenes Ding. Oder man versucht, in die Fußstapfen der Eltern zu treten und hofft, dass sie sich nicht als zu groß erweisen. Charlotte Gainsbourg hat sich lange Jahre für die erste Variante entschieden – und kann eine erfolgreiche Karriere als Schauspielerin vorweisen. Zuletzt spielte sie die Hauptrolle in Lars von Triers kontrovers diskutiertem Film « Antichrist », der im vergangenen Herbst mit harten Gewalt- und Sexszenen vom Exorzismus einer Liebesbeziehung erzählte.

Keine Angst vor dem Erbe

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Ihr musikalisches Debüt gab sie 1985 im Duett mit ihrem Vater. Der besang in dem Lied « Lemon Incest » die Liebe zu seiner damals 13-jährigen Tochter – ein Skandal. Erst 20 Jahre später veröffentlichte sie gemeinsam mit dem französischen Elektropop-Duo Air ihr erstes eigenes Album « 5:55 », auf dem sie sich mit ihrer Stimme zeitweise noch sehr zurücknahm. Auf der einen Seite belastete sie ihr großer Name, gleichzeitig konnte sie sich dem musikalischen Einfluss ihres Vaters Serge aber nicht entziehen. Um dem entgegenzuwirken, hatte sie bisher immer jemanden an ihrer Seite, der sie musikalisch an die Hand nahm – zunächst Air und nun Beck, der die meisten Texte und die Musik für « IRM » geschrieben hat und auch Gainsbourgs Live-Band selbst zusammenstellte.

Doch im Hamburger Schauspielhaus ist von der Angst vor dem großen Erbe des Vaters nichts mehr zu spüren. Im Gegenteil: Zum ersten Mal singt sie auch auf Französisch (« Voyage », « La Collectionneuse », « Le chat du café des artistes »). Dass sie es sich überhaupt zutraut, in der Sprache ihres Vaters zu singen, ist für Charlotte Gainsbourg ein mutiger Schritt.

Leise dankt sie Beck für seine « großartigen Songs ». Doch das beste « Repertoire », das es für sie gebe, sagt sie, sei das ihres Vaters. Das Publikum dankt ihr dieses persönliche Bekenntnis mit Jubel. Zum Schluss singt sie voller Hingabe Serges Multikulti-Hymne « Couleur Café ». Dabei wirkt sie zunächst wieder wie das kleine Mädchen von 1985. Als sie dann jedoch für einen Moment die Kontrolle abgibt, herrscht gelöste Stimmung auf der Bühne, und das Publikum kommt ganz nah an die neue, gelöste Charlotte Gainsbourg heran – obwohl es bei dieser ersten Live-Begegnung noch sitzen bleiben muss.

  • Charlotte auf der Krachmacherstraße, Charlotte Gainsbourg im Schauspielhaus Hamburg Von Ruth Bender | kn | 28.06.2010

Hamburg. Sie ist eine Andere, da oben auf der Bühne. Nicht die, die den Songs von Beck sensibel die Flüchtigkeit des Seins einhaucht. Auch nicht die, die mit Air fein getunte Geschichten erzählt, vom Herzzerbrechen über den Wolken, von kleinen Toden und Liebesmalen. Und trotzdem ist das Charlotte Gainsbourg, die im Deutschen Schauspielhaus Hamburg steht und mit ihrer kleinen Stimme neben ihrer Band hersingt.

Die Schweigsame: Sängerin Charlotte Gainsbourg.
Foto: Schiffler

Die fünf Musiker dominieren vom ersten Ton an, Schlagzeug und Percussion, die auf CD eher beiläufig den Rhythmus vorgeben, treiben hier krachig an die Oberfläche und die Songs massiv voran. Und Charlotte Gainsbourg steht merkwürdig losgelöst vor dem Soundgewitter, sehr gerade, fast bewegungslos, wenn sie nicht gerade auf die Drum-Machine eindrischt. Vom untergründigen Gehämmer des Kernspin-Tomografen, das Gainsbourg zu IRM, dem Titelsong ihres zweiten Albums, inspirierte, ist sowieso nichts zu hören, von der Stimme erstmal auch nicht. Dafür flimmert ein Schädel über sechs Monitore, was irgendwie an Kraftwerk und die Bühnenlabore der 80er erinnert.

Zwei Alben hat die Schauspielerin, 2009 in Cannes für ihre Rolle in Lars von Triers Antichrist ausgezeichnet, eingespielt. Das erste schön elektropoppig mit Air und Jarvis Cocker (Texte), das zweite avantgardistischer mit Beck, der der Tochter von Jane Birkin und Serge Gainsbourg Songs wie düstere Gedankensplitter auf die fragile Stimme schrieb – eingewoben in vielfältig vertrackte Klangmalereien, in denen nordafrikanische Trommelrhythmen ebenso Platz haben wie Glockenspiel oder filmreife Streich-Ensembles. Genau richtig für das mystisch Hauchende, das flüsternd Flüchtige der Charlotte Gainsbourg.

Eine große Stimme hat man von ihr also gar nicht erwartet – schon aber die Präsenz der Schauspielerin, und dass sie ihrer Begleitband standhält. Also singt sie kehliger, rotziger, Girl-Band-Achtziger. Daneben macht die pointierte, aber viel zu laute Band ihr eigenes Ding: Sie lässt es knacken und knirschen ( Looking Glass Blues), plingt und plongt ( Le chat du café des artistes), liebt harten Kontrast und üppige Sound-Effekte. So klingt AF 607105 vom Erstling 5:55 plötzlich wie Anne Clark, Just Like A Woman aus dem Bob-Dylan-Biopic I’m Not There dagegen wie ein verirrter Wüstensong und Serge Gainsbourgs L’hotel particulier („Das beste Repertoire für mich ist das meines Vaters…“) metallisch aufgemotzt.

Vielleicht hätte es schon gereicht, das Zusammenspiel zwischen Sängerin und Band besser auszubalancieren. Dann hat Gainsbourgs Stimme eine Chance, kann sich bei In the End oder Trick Pony verlieren in verwehter Melancholie. Das Publikum applaudiert trotzdem, ein bisschen so, als müsste es sich selbst animieren, diese andere Charlotte zu mögen. Nach einer Stunde ist Schluss; dann swingt Charlotte Gainsbourg poppig in die Zugabe mit The Songs That We Sing und Heaven Can Wait, bevor sie sich mit Serge Gainsbourgs Samba Couleur Café verabschiedet.

  • Charlotte Gainsbourg im Schauspielhaus: Eine Chanteuse im Schlagschatten – Von Tino Lange 29. Juni 2010

Charlotte Gainsbourg versteckte sich bei ihrem Hamburg-Konzert mit Methode, verneigte sich aber gegen Ende noch vor ihrem berühmten Vater.
Die französische Sängerin Charlotte Gainsbourg.

Hamburg. Noch herrscht Ruhe auf der Bühne des Schauspielhauses. Die Ruhe des gespannten Wartens, die Ungewissheit des Kommenden. 600 Gäste haben sich durch die hupenden Autokolonnen an der Kirchenallee gequält, sichtlich genervt von Vuvuzelas und Megafonen. Jetzt sitzen sie schwitzend auf Plüsch, Nebel steigt hoch und setzt sich auf den Staubfäden an der Decke des Saals ab. Sie erwarten den wahren historischen Moment an diesem Sonntag: den ersten Auftritt von Charlotte Gainsbourg in Deutschland.

Im Laufe der vergangenen 38 Jahre war die französische Schauspielerin und Sängerin stets ein Elementarteilchen, dessen große Anziehungskraft ihrer Herkunft geschuldet war. Ihr 1991 gestorbener Vater Serge Gainsbourg und Mutter Jane Birkin sind Ikonen der gehobenen Popkultur, Tochter Charlotte schon als Teenager Mittelpunkt einer aufgeregten Öffentlichkeit. Das gemeinsame Lied « Lemon Incest » und der Film « Charlotte For Ever » wurden Skandale, die Charlotte Gainsbourg bis heute begleiten. Verfolgen.

So wundert es nicht, dass die vielseitige Künstlerin, als Schauspielerin längst etabliert und mehrfach ausgezeichnet (zuletzt gab es 2009 eine Silberne Palme in Cannes für ihre Rolle in « Antichrist »), musikalisch anderen Spuren folgt als denen des Chanson-Erbes. Auf ihren Alben « 5:55 » (2006) und « IRM » (2009) komponierten und arrangierten Jarvis Cocker, Air und Beck Hansen Lieder als Hülle, in die Gainsbourg schlüpfte wie in eine Rolle. Sowohl den filigranen Werken der französischen Pop-Ästheten Air wie den kruden Querdenker-Werken von Beck drückte sie einen Stempel auf, der live eher als Wasserzeichen im Gegenlicht zu erkennen ist.

Charlotte Gainsbourg flüstert eher, als dass sie singt

« IRM », der Titelsong ihres aktuellen Albums, stolziert geradezu in den halb gefüllten Saal mit mächtigen Rhythmen und in die Tiefe des Raumes stoßenden Gitarren der fünfköpfigen Band. Gainsbourg aber ist nur zu erahnen. Streng wird ihre zierliche, bewegungslose Gestalt von hinten beleuchtet, sie flüstert eher, als dass sie singt. Vor allem bei « Time Of The Assassins » scheint es, als läge zwischen ihr und ihren Musikern ein Meer der Stille oder die dicken Wände jener « IRM »-Tomografie-Röhre, in der sie nach ihrem Wasserski-Unfall 2007 immer wieder ausharren musste.

Auch in den folgenden Songs braucht man schon Röntgenblick und gutes Gehör, um Gainsbourg zu erahnen. Ein Zuhörkonzert, das Konzentration erfordert. Das hat Methode, kaum tritt Gainsbourg für ein kurzes « Dankeschön » aus dem Schlagschatten, da zieht sie sich wieder in ihre Lieder zurück. Das Publikum folgt ihr, jedes Funkeln ihrer besonderen Ausstrahlung begierig erhaschend wie einen Sonnenstrahl im Nebel. Lautere Töne und LED-Lichteffekte kommen mit « Set Yourself On Fire » beinahe überfallartig daher, auch weil Gainsbourg ausbricht, im Post-Disco-Beat trommelt, ihre Bewegungen aber dennoch geisterhaft wie in einem Daumenkino wirken.

Großen Applaus gibt es, als sie ankündigt, sich beim besten Repertoire zu bedienen, das es für sie gibt – das ihres Vaters. Die Verbeugung « L’Hotel Particulier » ist noch angedeutet, aber zum fröhlichen Finale « Couleur Café » lebt die klassische französische Lässigkeit auf. Ein Klischee, dem sich Charlotte Gainsbourg sonst verweigert – das macht dieses Lied zum Geschenk.

Just Like A Woman

The Songs That We Sing

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